Die Volkskunstschule in Oederan - Schnittpunkt von Tradition und Moderne

Die Stadt Oederan liegt zwischen Chemnitz und Dresden, etwa 20 km westlich der Bergstadt Freiberg. Mit ihren etwa 7000 Einwohnern ist die Stadt ein kleines Zentrum für die ländliche Umgebung. Historische Gebäude, Plätze und Gassen prägen das Bild und bieten den Bewohnern einige Möglichkeiten, sich hier zu Hause zu fühlen. Ein Gewerbegebiet am Stadtrand, Eigenheimsiedlungen, Industriebrachen, Baustellen, überlastete Straßen und dergleichen gibt es hier wie anderswo auch. Doch aus mehreren Gründen unterscheidet sich Oederan von Kommunen ähnlicher Größe und ist deshalb sogar weit über die Region hinaus bekannt.

Zur Geschichte

Bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts geht die Geschichte von Europas ältester Miniaturschau, dem Klein Erzgebirge Oederan zurück. In einem idyllischen gelegenen Teil der Stadt werden seitdem Modelle wichtiger und typischer Gebäude der Erzgebirgsregion gezeigt. In den 60er Jahren entstanden hier einige Zirkel und Arbeitsgruppen, die sich der Traditionspflege verschrieben hatten. In diesem Umfeld wurde 1967 die Volkskunstschule gegründet. Ihr erklärtes Ziel war es, die Jugend an die Kunst heranzuführen. In fünf Fachrichtungen (Schnitzen, Holzgestaltung, Malerei und Graphik, Kunsthandwerk sowie textiles Gestalten) wurden begabte Jugendliche nach eigens aufgestellten Lehrplänen gefördert. Die Volkskunstschule bildete häufig die Vorstufe für Bildungswege in verschiedene künstlerische Richtungen.

Mit der Wiedervereinigung änderten sich zwar die politischen Strukturen, was blieb war jedoch der Wille der Verantwortlichen, die Volkskunstschule zu erhalten. Neue Inhalte und Konzepte fanden Eingang in die Einrichtung, die von nun an durch die Kommune selbst getragen wurde. Die Förderung von Begabten trat etwas in den Hintergrund. Der Gedanke, jetzt breiten Schichten der Bevölkerung  einen Zugang zur bildenden Kunst zu ermöglichen, entsprach dem neuen Verständnis von Demokratie und Mitwirkung am Gemeinwesen.

Volkskunstschule - was ist das?

Die Assoziationen bewegen sich zwischen romantischen Klischees, Volkskunstschule und Kunstschule. Der Name, den die Einrichtung seit ihrer Gründung 1967 trägt, ist nicht problemlos. Schon die Definitionen des Begriffes "Volkskunst" bilden ein weites Feld, auch der Schulbegriff im Zusammenhang mit der außerschulischen Arbeit ist umstritten.

Da "Volkskunstschule" jedoch verschiedene Deutungen zulässt, beispielsweise die der Volks-Kunstschule, was die Öffnung allen Alters- und Einkommensstufen integriert und vor allem, da der Name den durchaus vorhandenen Bezug zu den regionalen Traditionen verdeutlicht, entschlossen wir uns, diesen Namen zu behalten.

Gegenwart ist die Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Künstlerische Arbeit in der Volkskunstschule erfolgt bewusst in dem Spannungsfeld traditioneller und moderner Einflüsse. Diese Verbindung stellt unserer Meinung nach gerade in Regionen, in denen verschiedene künstlerische Traditionen, wie hier am Rande des Erzgebirges, noch lebendig sind und gepflegt werden, eine wichtige Potenz der künstlerischen Arbeit dar. Kunst veraltet nicht, wie technische Systeme und Gebrauchsgegenstände. Setzt man sich mit künstlerischen Traditionen auseinander, dann stellt man fest, dass Geschichte nichts Abgeschlossenes ist.

Tradition und Inhalte im Wandel

Die Volkskunstschule ist tatsächlich eine gewachsene Einrichtung. Sie hat sich mit den Menschen, von denen sie getragen wird, verändert und verändert sich weiter. Bei ihrem Namen ist es geblieben, auch wenn dieser den Inhalt der Einrichtung nicht mehr vollständig wiedergibt. Längst ist das Betätigungsfeld über das, was heute "Volkskunst" genannt wird, hinausgewachsen. Der Begriff "Volkskunstschule" ist indes zur Traditionsmarke geworden und zeigt die enge Bindung zu den Einwohnern der Region.

Mit dem Umzug der Einrichtung in das "Spital", ein vor 1564 als Hospital errichtetes und 1990-92 saniertes kommunales Gebäude, erhielt die Volkskunstschule ihre heutige Form. Tradition und Moderne finden in dem denkmalgeschützten Gebäude wie selbstverständlich zusammen.

Die Genres, mit denen sich die Volkskunstschule in ihren Kursen und Projekten beschäftigt, sind geprägt durch die Ausstattung und die zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten. Eine Holzwerkstatt, mit allen notwendigen Maschinen zur Holzbearbeitung und eine Druckwerkstatt für Lithografie und die anderen gängigen Druckverfahren befinden sich im Erdgeschoss. In zwei Nebenräumen kann mit wenig Mühe eine Dunkelkammer für die s/w Fotografie eingerichtet werden. In der oberen Etage befinden sich zwei flexibel nutzbare Räume. Hier wird gemalt, gezeichnet, gebastelt, genäht usw. Die Keramikwerkstatt nebenan ist mit zwei Brennöfen und Regalen gut ausgestattet. Der Saal unter dem Dach des Fachwerkhauses ist geeignet für Konzerte, Kabarett und Puppenspiel. Er wird auch zum Aktzeichnen und für kleine Ausstellungen genutzt. Die Küche im Erdgeschoss erlaubt es, Teilnehmer längerer Veranstaltungen mit mehr als nur Kaffee und Kuchen zu versorgen.

Das Kursprogramm hat sich im Laufe der Jahre natürlich gewandelt. Manche Themen sind verschwunden, andere dafür neu hinzugekommen.  So erfreuen sich die Kurse für Aufbaukeramik und Töpfern großer Beliebtheit. Die Kurse für Holzgestaltung haben bis heute immer wieder Themen im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne bearbeitet. Hier entstehen Bergmannsfiguren ebenso wie frei gestaltete Skulpturen. Auch in anderen Genres ist die Vielgestaltigkeit der einzelnen Kurskonzepte charakteristisch: die Orientierung an handwerklichen Techniken stellt keinen Widerspruch zu freien, künstlerischen Herangehensweisen dar.

Viele Kursleiter sind freischaffende Künstler, die in der Region tätig sind. Sie finden in der Volkskunstschule eine Wirkungsstätte und nutzen auch die hier vorhandenen Möglichkeiten der Kunstproduktion. An die Kursteilnehmer geben sie Ihre Fertigkeiten und Auffassungen weiter. Malerei und Graphik, textiles Gestalten, Modellbau, Fotografie und Korbflechten sind weitere Genres im Kursprogramm.

Frühförderung und handwerkliche Fertigkeiten

In der Volkskunstschule finden Kurse für Kinder ab 3 Jahren statt. Beinahe alle Kinder gehen gern mit Stiften, Pinsel, Farben, Leim, Schere etc. um. Dabei lernen die Kinder eine breite Palette an Techniken kennen. Es wird mit verschiedensten Materialien gemalt, geklebt, gedruckt, es wird mit Ton geformt, Holz und Stoffe werden verarbeitet und nicht zuletzt wird auch gesungen, getanzt und gespielt. Im Unterschied zur musikalischen Früherziehung an Musikschulen steht in der Volkskunstschule die bildkünstlerische Arbeit im Mittelpunkt.

Die Themen dafür ergeben sich aus der Jahreszeit, einem kursübergreifenden Thema, kommen von den Kindern selbst oder ergeben sich vielleicht aus einer Geschichte oder einem Lied. . .

Neben einer phantasieanregenden Thematik des Kurses geht es so nebenher auch immer um Vermittlung handwerklicher Grundfertigkeiten. Denn nur der kann sich gut mit bildkünstlerischen Mitteln artikulieren, der auch im Umgang damit geschult ist. Das trifft nicht nur auf Kinder zu. Auch Jugendliche und Erwachsene sind daran interessiert, spezielle Techniken und Verfahren zu erlernen.

Bildung und Entwicklung für das Leben

Die Vorstellung Wissen zu vermitteln, das heißt die Teilnehmer zu bilden, ist in jeder Veranstaltung existent. Methoden und Gewichtung dieser Absicht sind in den einzelnen Veranstaltungen unterschiedlich. Einzelne Kurse sind speziell für die Erarbeitung einer Bewerbungsmappe ausgewiesen. Diese Sammlung eigener Arbeiten ist Voraussetzung für die Bewerbung an einer Kunsthochschule oder ähnlichen Bildungseinrichtungen.

Treffpunkt

Andere Kurse sind eher als Treffpunkt zu verstehen. Die Teilnehmer sind zwar wie immer aktiv doch die sozialen Kontakte, der Austausch untereinander über alltägliche Dinge sind genau so wichtig.

Kurse und Projekte

Ergänzt werden die etwa 35 wöchentlich oder 14-tägig stattfindenden Kurse für praktisch alle Altersgruppen durch ein umfangreiches Projektangebot. Über 40 verschiedene Angebote sind in einem Projektkatalog formuliert und werden, bei Bedarf, gemeinsam mit Schulen, Kindergärten und anderen sozialen Einrichtungen der Umgebung durchgeführt. Die Themen sind sehr vielfältig, traditionell oder innovativ, in jedem Fall auf die Wünsche und Anforderungen der Kinder und Jugendlichen abgestimmt. Zum Angebot gehören beispielsweise Papierschöpfen, Brettspiele erfinden, Wetterhähne bauen, Batiken, Comics zeichnen, fotografieren mit der Holzkiste und Mathe-Kunst. Hier besteht die Möglichkeit, neue Ideen auszuprobieren, die später in einen Kurs einfließen können.

Der Anspruch, Bildung zu vermitteln ist immer gegenwärtig, auch wenn die Formen der Vermittlung vom Schulbetrieb abweichen. Soziale und kreative Kompetenzen sowie handwerkliche und künstlerische Fertigkeiten werden immer im Zusammenhang gesehen. Klar, dass trotzdem nicht alle Besucher der Volkskunstschule Künstler werden. Auf jeden Fall erhalten sie wichtige Impulse für ein eigenschöpferisch gestaltetes Leben, egal in welchem Alter sie sind oder in welcher Lebenssituation sie sich befinden.